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Oliver Herwig

Verzahnungen

Matthias Loebermann versteht es, mit schweren Pigmenten Leichtigkeit zu erzeugen: Eisengrund verteilt er so geschickt über Papiere, bis ihr Fluss gewollt zum Stillstand gekommen ist. Schicht auf Schicht baut und verwäscht er Wolkenlandschaften. Das Ergebnis ist verblüffend: Es scheint, als hätte Loebermann mit der Plattenkamera Wolkenwirbel festgehalten und in der Dunkelkammer fixiert. Er selbst spricht von Formationen, die er wie aus einem langen Film herausgelöst habe. Film-Stills, die etwas von der Erhabenheit und der Größe eines Stoffes erzählen, der Leben überhaupt erst möglich machte: H2O.

Am Tripelpunkt hat Wasser die verblüffende Eigenschaft, zugleich fest, gasförmig und flüssig zu sein, zumindest in winzigen Mengen. Da erstarrt es zu Eis, fließt als Wasser und verdampft zu feinem Nebel. Die vexierhafte Wandelbarkeit des Stoffes machte ihn seit jeher zum bevorzugten Objekt für Naturstudien. Im Vordergrund stehen dabei nicht etwa die vom Wasser geformten Landschaften (Täler und ihre Steigerung: Canyons), sondern seine ephemersten Erscheinungen: Nebel und Wolken.

Die niederländische Malerei etwa öffnete weite Blicke über dem Meer abgerungene Landschaften samt Windmühlen, Städten und Kirchenschiffen. Ihr eigentlicher Gegenstand aber war der Himmel in seinem ständigen Wandel, für den sie gut zwei Drittel der Leinwand reservierten.

Loebermann hingegen schenkt dem Spiel der Elemente das gesamte Format. Und das zu Recht. Verliert sich der Betrachter schon in Details der kleinen gestreckten Miniaturen, so kann er sich in die großen Formate regelrecht hineinwerfen. Was aus der Nähe noch als abstrakte Formation erschien, wandelt sich mit jedem Schritt zurück zu einer geradezu körperlich-emotionalen Erfahrung. Wolkentürme und ziehende Cumuli füllen den Blick und fordern Auseinandersetzung. Hier geht niemand einfach nur so vorbei. Hier schwingt der Betrachter selbst mit. Es ist, als ob man eine Wattwanderung unternähme, den Blick auf den Horizont gerichtet, dort, wo sich Himmel und Erde berühren und Übergänge verschwimmen. Dann wandert der Blick nach unten, auf die immer neuen Spuren des Tidenhubs gerichtet. Die sedimentierten Pigmente bilden Priele und Mäander: Abbilder der Gezeiten am Strand, Schlieren und Schleifen des Wassers und seiner transportierten Sedimente. In feinen und feinsten Verästelungen folgt das Auge dem Weg des Wassers.

Loebermanns Methode der Ausschwemmung spürt geologischen Prozessen nach – und ist daher ebenso eindrücklich naturnah-vertraut wie irritierend präsent. Ein Physiker könnte berichten, wie diese Sedimentmalerei zustande kommt – ohne deshalb ihrem Kern nahezukommen: Große Pigmente sinken schneller zu Boden als kleinere. Diese Arbeiten sind in der Schwebe und vermitteln diese Erfahrung an ihre Betrachter, genauso wie das Zusammenspiel aus Reibung, Auftrieb und Masse der Pigmente darüber bestimmt, wie schnell sie auf den Malgrund sinken. Und natürlich die Intention des Künstlers, der das Blatt in Bewegung hält und in einer Choreographie aus Auge, Hand und Körperbewegung Dichte und Auswaschung einzelner Partien bestimmt.

Dabei lassen sich die Arbeiten nicht bis ins letzte Detail determinieren, sondern immer nur Randbedingungen schaffen, um gewisse Prozesse anzustoßen, zu befördern oder zu unterbinden. Zwei identische Arbeiten sind auf diesem Wege nicht herzustellen, wohl aber lassen sich Dichte und Stimmung jedes einzelnen Blattes bestimmen. Was Matthias Loebermann hier präsentiert, ist so etwas wie eine Langzeitbelichtung eines Balletts, das er mit Papier und Pigment in der Zeit aufführt. Eine Uraufführung Blatt für Blatt. Eine sinnliche Erfahrung. Und ein Fokuspunkt für eine Zeit, die Zerstreuung und Auflösung als grundlegende Bestandteile des Hier und Jetzt feiert.

Bei Loebermann vollzieht sich eine spannende Erwiderung: Das ephemere Spiel von Feuchte in der Luft, wird auf einem Träger fixiert. Und somit dem Flüchtigen Dauer verliehen. Das ist sehr nah an einem Film-Still unserer Zeit. Und unseres Denkens.